Januar & Februar 2023
Du siehst mich.
Auf einem Spielplatz sitzt ein kleines Mädchen auf der Schaukel und ruft nach seinem Vater. Wieder und wieder. Der Vater unterhält sich mit anderen Eltern und hört das Mädchen nicht. Das Mädchen nimmt noch mal Schwung und ruft noch lauter: „Papi, guck mal!“ Da endlich dreht sich der Vater um, sieht das Mädchen schaukeln und ruft zurück: „Ja, ich sehe dich! Du schaukelst ganz hoch!“ Das Mädchen lacht stolz und schaukelt weiter.
Eine Frau besucht ihre Großmutter im Seniorenwohnheim. Beim Kaffeetrinken sitzt sie neben einem älteren Herrn, der immer wieder fragt: „Wo ist meine Mama?“ Wieder und wieder stellt er diese Frage. Er ist mindestens Mitte 80, seine Mutter wird also längst nicht mehr leben. Aber die Frage hört nicht auf. Schließlich dreht sich die Frau zu ihm um, sieht ihm freundlich in die Augen und sagt: „Sie vermissen Ihre Mutter.“ Der Mann seufzt, fast erleichtert: „Ja.“ – „Ihre Mutter war eine gute.“ – „Ja.“ Er schaut in die Ferne und lächelt. Dann isst er seinen Kuchen.
Wir Menschen brauchen es, von anderen gesehen zu werden. Das gilt für das Kind auf der Schaukel ebenso wie für die Erwachsenen. Wenn der Vater nicht guckt, wird das Kind weiter rufen, lauter werden, schließlich schreien, um auf sich aufmerksam zu machen.
Bis der Vater endlich hinsieht.
Der alte Mann wird so lange nach seiner Mutter fragen, bis jemand versteht, dass sie ihm fehlt. Dann ist es gut. „Ich sehe dich.“
Wir Menschen brauchen es, von anderen gesehen zu werden. Wir brauchen Menschen, die hinsehen. Die auch dann den Blick nicht abwenden, wenn es unangenehm wird oder traurig. Die wirklich sehen, wie es uns geht und was wir brauchen. Das ist ein menschliches Grundbedürfnis. Gesehen werden. Wir sind eben keine unabhängigen Inseln, sondern wir sind aufeinander angewiesen.
Auf andere Menschen, die mit anpacken, wenn eine Last für uns zu schwer ist. Die einfach da sind und mit aushalten, was wir erleben, ohne vorschnelle Tipps zu geben. Die uns helfen bei dem, was wir alleine nicht können. Und die uns aufmerksam und liebevoll ansehen, um zu verstehen, was wir brauchen. Manchmal nicht mehr als nur das: einen anderen, der sagt: „Ich sehe dich.“
Dann können wir fröhlich weiterschaukeln oder Kuchen essen, den nächsten kleinen Schritt tun und mit der Gewissheit ins neue Jahr gehen: „Ich bin nicht allein. Du siehst mich.“ Diese Gewissheit wünsche ich Ihnen. Diese Gewissheit und die Erfahrung, dass Menschen da sind, die Sie freundlich ansehen und begleiten. Und dass auch Gott einer ist, der sagt: Ich sehe dich. (1. Buch Mose 16,13)
Für das Team der Klinikseelsorge an der Uniklinik Köln
Caroline Schnabel
Fastenzeit 2023
spielerisch befreiend
Ich öffne meinen Briefkasten, erkenne die gelbe Postkarte und weiß sofort: ich muss wieder einmal zur nächstgelegenen Postfiliale laufen, dort in einer Schlange warten, dort den leider unfreundlichen Kioskmenschen mit Freundlichkeit begegnen, um dann endlich mein Paket in der Hand zu haben. Mich nervt das. Ich erlaube der Post immer wieder: Sie dürfen mein Paket vor meiner Wohnungstür ablegen. Getan hat das noch niemand; meine Erlaubnis wird ignoriert. Ich vertraue meiner Nachbarschaft, die Post nicht. Sie darf das wohl nicht.
Ich stehe vor meinem Briefkasten im Hausflur. Ich war gerade erst draußen. Ich bin Fahrrad gefahren. Draußen ist es kalt und nass, denn es regnet. Also lohnt sich für mich nicht, erst in meine Wohnung zu gehen, um dann erneut aufzubrechen. Von daher öffne ich die Haustür und begebe mich wieder in den Regen.
Verärgert gehe ich die Straße entlang. An der ersten Kreuzung zeigt meine Fußgängerampel: rot. Ich muss also zusätzlich im Regen stehenbleiben und warten. Endlich springt die Ampel auf Grün und ich wechsele auf den gegenüberliegenden Bürgersteig und folge der Häuserreihe entlang. Von weitem sehe ich einen älteren Herrn, der mir entgegenkommt. Er stützt sich mit einer Hand auf einen Gehstock. Unter meiner Kapuze schaue ich zu Boden. Als er näherkommt, sehe ich auf: der Herr hält sich mit der anderen Hand eine Zeitung über den Kopf, um sich vor dem Regen zu schützen. Er sieht, dass ich ihn ansehe. Er grinst und auch ich muss grinsen. Wir nicken uns zu und gehen aneinander vorbei.
Die Art und Weise, wie er sich vom Regen nicht beeinflussen lässt, gefällt mir. Ihm ist egal, dass seine Zeitung nass wird. Ob sie noch gut lesbar sein wird, weiß ich nicht. Ich lächele und finde sein Wohlwollen spielerisch befreiend. Er lächelte und ich musste lächeln. Er und ich haben meine Verärgerung weggeschmunzelt. Ich mag diese kleinen Momente des anonymen Miteinanders.
Ein anderer Tag: wieder beim Warten, dass eine Ampel grün wird, machte ich ebendenselben spielerischen Versuch: ich lächelte alle Menschen in den Autos an, die an mir vorbeifuhren. Ich finde, erstaunlich viele bemerkten das und lächelten zurück. Vielleicht freuten sie sich. Ich freute mich.
Gamification ist eine spielerische Idee, um Perspektiven, die eigene Stimmung oder das eigene Verhalten zu ändern. Manche Spiele können viel bewirken. Der Film 'Das Leben ist schön' (1997) zeigt das hervorragend. Spielerisch befreiend wirkt für mich auch die Szene des Kreuzaufnehmens im Film 'Das Leben des Brian' (1979) mit dem Zitat: „Jeder nur ein Kreuz“. Spielerisch habe ich für diesen Text das maschinelle Lernsystem ChatGPT ausprobiert. Die Vorschläge fand ich jedoch langweilig. Für meinen Weg zum Paket / zur Postfiliale merke ich mir: mach was Spielerisches: berühre im Gehen nur die Steinplatten, tritt niemals auf eine Rille, und habe Freude dabei. Oder: spiele mit Autos, Fenstern, Geräuschen, Menschen. Oder: mache die Augen zu und spüre den Weg entlang der Häuserwände. Für mich bleibt das Spiel mit dem Lächeln spannend. Ich habe bereits als Kind oft und gerne Menschen angelächelt und beobachtet, wie sie reagieren. Flirten hat etwas davon. Sie oder du werden eigene Spiele mit sich selbst und mit ihrer Umgebung haben, die hoffentlich wenig Material benötigen. Auch Spiele mit viel Material würde ich gerne öfter sehen im Krankenhaus. Oder: dass die Bildschirme in den Zimmern mehr zum aktiven Spielen genutzt werden als zum passiven Schauen. Ich finde immer wieder: Spielen tut gut: als Unterbrechung, als neue Perspektive, als neuer Versuch. Immer wieder neu starten.
Ich wünsche Ihnen Spiele an jedem Ort und für die Suche nach neuen Spielen und Spielideen und für alles Spielen: Viel Freude!
Für das Seelsorgeteam
Diotim Meyer
Fastenzeit 2024
Gott,
die Fastenzeit
hat begonnen,
aber auf Gesundheit
kann ich nicht verzichten.
Gott,
gib mir Kraft
im Körper, in Gedanken,
in Gefühlen, im Geist.
Und schau hin,
was ich sonst
gebrauchen kann,
was auch andere
gebrauchen können.
Gott,
sei da
und enthalte dich nicht.
Nimm mich wahr,
nimm alle hier wahr.
Gott,
mach’ deinen Job.
Tue uns Gutes.
Amen.
Für die Klinikseelsorge: Diotim Meyer